Das Wichtigste zur Anfechtung
Laut Definition ist die Anfechtung ein Gestaltungsrecht, mit dem man eine fehlerhafte Willenserklärung aus der Welt schaffen kann. Das auf dieser Erklärung beruhende Rechtsgeschäft (meistens ein Vertrag) gilt dann von Anfang an als nichtig. Hier lesen Sie eine ausführlichere Erklärung.
Für die Anfechtung einer Willenserklärung muss ein Anfechtungsgrund im Sinne der §§ 119, 123 BGB vorliegen. So kann die Anfechtung auf einem Inhaltsirrtum, einem Erklärungsirrtum oder einem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft beruhen. Darüber hinaus können Sie einen Vertrag anfechten wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung.
Sie müssen die Anfechtung innerhalb der gesetzlichen Frist ausdrücklich erklären. Die Anfechtung führt zu einer anfänglichen Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Was das genau bedeutet, erklären wir an dieser Stelle.
Inhalt
Anfechtung laut BGB: §§ 119 ff.
Wir gehen einkaufen oder ins Restaurant essen, wir eröffnen ein Konto oder unterschreiben einen neuen Arbeitsvertrag.
Fast jeden Tag machen wir Äußerungen, mit denen wir uns rechtlich binden. Diese Willenserklärungen lösen verschiedenste Rechtsfolgen für uns aus.
Manchmal geschieht das ungewollt, weil bei der Abgabe einer Willenserklärung Probleme oder Missverständnisse auftreten. Unter Umständen ist es möglich, diese Willenserklärung mithilfe einer Anfechtung wieder aus der Welt zu schaffen.
Wenn Sie einen Vertrag wirksam anfechten, gilt dieser laut § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an als nichtig. Der Gesetzgeber tut folglich so, als hätten Sie und Ihr Vertragspartner den Vertrag nie abgeschlossen.
Dafür müssen im Wesentlichen drei Bedingungen erfüllt sein, die wir in den folgenden Abschnitten ausführlich erläutern:
- Anfechtungsgrund: Es muss einer der gesetzlichen Anfechtungsgründe vorliegen. Die Anfechtung ist wegen eines Irrtums, falscher Übermittlung, arglistiger Täuschung oder wegen einer widerrechtlichen Drohung möglich.
- Anfechtungserklärung: Sie müssen gegenüber Ihrem Anfechtungsgegner erklären, dass Sie Ihre Willenserklärung anfechten und den Vertrag damit aus der Welt schaffen möchten.
- Anfechtungsfrist: Sie müssen bei der Erklärung Ihrer Anfechtung die gesetzliche Frist einhalten. Hier lesen Sie mehr dazu.
Irrtum als Anfechtungsgrund nach § 119 BGB
Menschen irren sich auf vielfältige Weise, doch nicht jeder Irrtum berechtigt zur Anfechtung. Juristen unterscheiden deshalb zwischen verschiedenen Irrtümern, wie die folgende Grafik zeigt:
Inhaltsirrtum berechtigt zur Anfechtung
Bei einem Inhaltsirrtum irren Sie sich über den Inhalt Ihrer Willenserklärung. Sie sagen zwar genau das, was Sie sagen wollen, Sie irren sich aber über die rechtliche Bedeutung Ihrer Äußerung. In einem solchen Fall dürfen Sie laut § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB die Anfechtung erklären.
Beispiel: Sie sagen dem Autohändler, dass Sie den blauen Citroën hinten in der Ecke des Autohauses kaufen wollen. Tatsächlich ist es jedoch ein Peugeot.
Erklärungsirrtum als Anfechtungsgrund
Um einen Erklärungsirrtum handelt es sich laut § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB, wenn Sie „eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollten“.
In diesem Fall sagen bzw. äußern Sie objektiv etwas, wollen subjektiv aber etwas ganz anderes. So etwas passiert sehr schnell, etwa wenn Sie sich verschreiben, versprechen oder sich im Regal in der Kaufhalle vergreifen und das falsche Produkt nehmen. Ein solcher Irrtum berechtigt ebenfalls zur Anfechtung.
Beispiel: Ein Uhrmacher schreibt ein Angebot für einen Verbraucher, der eine recht wertvolle Uhr reparieren lassen will. Dabei schleicht sich ein Zahlendreher ein. Statt 321 € gibt der Uhrmacher irrtümlich 123 € als Preis an. Der Verbraucher nimmt dieses vermeintlich günstige Angebot an.
Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft
Laut § 119 Abs. 2 BGB sind Sie auch dann zur Anfechtung berechtigt, wenn Sie sich „über solche Eigenschaften der Person oder der Sache [irren], die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.“
Ein klassisches Beispiel für einen solchen Fall ist der Kunstsammler, der ein Gemälde in dem Glauben kauft, dass es sich um ein Original seines Lieblingsmalers handelt. In Wirklichkeit erwirbt er lediglich ein Duplikat, was auch dem Kunsthändler, der das Bild verkauft, nicht erkennbar war.
Der Sammler irrt sich hier über eine wertbildende Eigenschaft einer Sache, nämlich über Urheberschaft bzw. Echtheit eines Gemäldes. Im Kunsthandel ist eine solche Eigenschaft äußerst wichtig bzw. wird dort als „wesentlich angesehen“, wie es der Gesetzgeber ausdrückt.
Ähnliches trifft auch auf das Material einer Sache zu, wenn es für ihren Wert ausschlaggebend ist. Etwa, wenn Sie Ihren alten Goldring viel zu günstig verkaufen, weil Sie glauben, er sei aus Messing.
Der Preis bzw. Marktwert einer Sache ist hingegen keine Eigenschaft in diesem Sinne, sodass ein Irrtum hierüber keinen Grund zur Anfechtung bietet. Das führt in dem Beispiel mit dem Goldring zu folgendem Ergebnis:
Sie wissen, dass der alte Ring, den Sie verkaufen wollen, aus Gold ist, glauben aber, dass er trotzdem nur 70 € wert ist und verkaufen ihn für diesen Preis. Tatsächlich ist der Ring aber 350 € wert. Hier irren Sie lediglich über den Wert des Ringes, nicht aber über eine verkehrswesentliche Eigenschaft, das Material. Deshalb können Sie das Kaufgeschäft nicht anfechten.
Keine Anfechtung bei einem bloßen Motivirrtum
Als Motivirrtum bezeichnen Juristen den Irrtum über den Beweggrund des Erklärenden für seine Entscheidung.
Ein solcher Irrtum ist immer unbeachtlich, wenn der Erklärende das geäußert hat, was er äußern wollte.
Deshalb können Sie beispielsweise Ihre Urlaubsreise nicht mehr stornieren, wenn Sie diese Reise gebucht haben, weil Sie irrtümlicherweise davon ausgegangen sind, dass Ihr Arbeitgeber Ihnen in dieser Zeit auch Urlaub gibt.
Anfechtung: Arglistige Täuschung als Anfechtungsgrund
Laut Paragraph 123 BGB berechtigt auch eine vorsätzliche arglistige Täuschung zur Anfechtung. Hierunter fallen typischerweise Betrugsdelikte, die auch strafrechtliche Konsequenzen für den Täuschenden haben können.
Eine solche arglistige Täuschung liegt beispielsweise vor, wenn ein Gebrauchtwagenhändler dem Käufer gegenüber bewusst behauptet, dass der Wagen unfallfrei sei, obwohl es sich tatsächlich um ein Unfallfahrzeug handelt. Er lügt absichtlich, um einen höheren Preis für den Wagen zu bekommen.
Dass ein Vertragspartner die Anfechtung wegen einer widerrechtlichen Drohung im Sinne des § 123 BGB erklärt, kommt in der Praxis eher selten vor. Dieser Anfechtungsgrund setzt voraus, dass Sie Ihre Willenserklärung nur deshalb abgegeben haben, weil Ihr Vertragspartner Sie widerrechtlich bedroht hat.
Anfechtungserklärung, § 143 BGB
Sie müssen die Anfechtung gegenüber Ihrem Anfechtungsgegner erklären. Das kann auch formlos geschehen, ohne dass Sie den Begriff „anfechten“ ausdrücklich erwähnen.
Wichtig ist nur, dass der Anfechtungsgegner erkennen kann, dass Sie das Rechtsgeschäft aufgrund eines Willensmangels von Anfang an beseitigen möchten. Bei einem Vertrag ist Ihr Vertragspartner der Anfechtungsgegner.
Anfechtungsfrist, §§ 121, 124 BGB
Die Anfechtung wegen einem Irrtum oder falscher Übermittlung muss unverzüglich erklärt werden, das heißt, ohne schuldhaftes Zögern, sobald Sie von dem Anfechtungsgrund erfahren. Diese recht kurze Frist soll dem Anfechtungsgegner Gewissheit darüber verschaffen, ob der Vertrag nun gilt oder nicht.
Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung muss laut § 124 Abs. 1 BGB innerhalb eines Jahres erfolgen. Diese Frist beginnt in dem Moment, …
- …in dem Sie als Anfechtungsberechtigter entdecken, dass Sie getäuscht wurden.
- …in dem die Zwangslage im Falle einer widerrechtlichen Drohung endet.
Rechtsfolge einer wirksamen Anfechtung: § 142 BGB
Die wirksame Anfechtung einer Willenserklärung führt dazu, dass das abgeschlossene Rechtsgeschäft, z. B. ein Vertrag, von Anfang als nichtig gilt – als wäre es nie zustande gekommen.
Allerdings schützt der Gesetzgeber den redlichen Empfänger der Erklärung, der ja auf deren Gültigkeit vertraut hat. Wenn die Anfechtung auf einem Inhaltsirrtum beruht, muss der Anfechtende deshalb laut § 122 BGB den Schaden ersetzen, den der Empfänger dadurch erleidet, dass er auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraut hat. Der Anfechtende muss den Erklärungsempfänger so stellen, als sei das Rechtsgeschäft bzw. der Vertrag nie zustande gekommen.
Das gilt laut § 122 Abs. 2 BGB jedoch nicht, wenn er „den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste).“ Deshalb besteht kein Schadensersatzanspruch, wenn der Grund für die Anfechtung eine arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung beruht.
Anfechtung durch den Gläubiger im Rahmen der Zwangsvollstreckung
Doch nicht nur im Rechts- und Geschäftsverkehr kommt der Anfechtung eine Bedeutung zu. Sie spielt auch im Zwangsvollstreckungsverfahren eine wichtige Rolle. Diese Form der Anfechtung ist im Anfechtungsgesetz geregelt und muss streng von der Anfechtung einer Willenserklärung nach den §§ 119 ff. BGB unterschieden werden.
Laut § 1 AnfG kann der Gläubiger …
„Rechtshandlungen eines Schuldners, die [ihn] benachteiligen, […] außerhalb des Insolvenzverfahrens nach Maßgabe“ des Anfechtungsgesetzes anfechten.
Das ermöglicht es dem Gläubiger, die Zwangsvollstreckung in Vermögenswerte des Schuldners durchzuführen, die Letzterer zum Beispiel an Dritte übertragen hat, um sie der Vollstreckung zu entziehen.
Der Gläubiger hat laut § 11 AnfG einen Rechtsanspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in diesen Vermögenswert. Eine solche Anfechtung ist jedoch nur möglich, wenn der Gläubiger einen Vollstreckungstitel gegen den Schuldner besitzt.
Zu guter Letzt gibt es noch die Insolvenzanfechtung nach den Regeln der §§ 129 ff. InsO. Mit dieser Anfechtung im Insolvenzverfahren macht der Insolvenzverwalter Rechtsgeschäfte rückgängig, die der Schuldner vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen hat. Damit fordert der Insolvenzverwalter Gelder oder Vermögenswerte vom Vertragspartner des Schuldners zurück und führt diese wieder der Insolvenzmasse zu.